Klicken um einzelne Bilder zu vergrößern

 

 

 

Helmut Knirim

Malerei als Natursuche (Teil II)

 

 

  Sabine Grazianski schafft einen bildimmanenten Kosmos, es entsteht eine blitzende Theatralik mit Figuren wie Schattenkleckse, Mutanten der Schöpfung, Grenzgänger zwischen Alltag und mystischer Welt, ein Amalgat aus informeller Auflösung und realer Information. In kleinem Bild herrscht equilibrierende oder  meditative Ruhe, stets neue Spannungen zwischen Abstraktion und figuralen oder gegenständlichen Abbreviaturen, eine Folge subtilen Experimentierens mit banal und simpel erscheinenden Andeutungen menschlicher und tierischer Körper sowie von Gegenständen. Alles erscheint in einer Mischung aus Raffinement und Naivität, die zugleich Assoziationen zum Thema „Leben und Überleben“ wachruft.

  Die Künstlerin gestaltet Abstracta, die der nüchterne Sinn des Betrachters nicht bilden kann, in ihrem Schaffensdrang brechen sich formale Spekulationen in einer Weise Bahn, als müsse die Natur neu erfunden werden. Und sie lassen ahnen, dass sich in dem Begriff Naturmehr verbirgt als wir vermuten. Welche Bedeutungen schlummern letztlich in der Tiefe des lateinischen Wortes „natura“, das von „nasci“ (geboren werden) ableitet? Es meint Dinge der Welt, Sterne ebenso wie Pflanzen, Tier und Mensch. Alles was wird, ist Natur, alle wirklichen Dinge der Welt umfasst der Begriff, die Gesamtheit des Daseins. Und mitten darin der Mensch.

   So betrachtet sind die Werke Sabine Grazianskis freie Illustrationen einer imaginierten „histoire naturelle“. Ihre Bilder sind Antithesen  eines Denkens, das die Natur und damit die Welt als berechenbares Ganzes auffasst. Dinge und Geschöpfe werden als Schatten oder in grob umrissenen Gebilden wiedergegeben, sie werden Wahrscheinlichkeiten. Ab- und Zerrbilder von Wissenseigenschaften, Eigentümlichkeiten einer aufs Spiel gesetzten Wirklichkeit. Das Verändertwerden gehört eben zum Wesen alles Geformten.

  Den Versuch, die Welt zu erklären und zu deuten, nannte Seneca „philosophia naturalis“. Sabine Grazianski liefert in diesem Sinne Deutungsversuche, der Stoff der Welt wird nicht geordnet, die kosmische Logik fällt zurück ins Mystische gar ins Chaos. Der größte deutsche Dichter, Johann Wolfgang von Goethe, formuliert das so: „Das Ew´ge regt sich fort in allem, denn alles muss in Nichts zerfallen, wenn es im Sein beharren will.“